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    Vielleicht vermisse ich doch was

    „Man kann doch gar nichts vermissen, was man nicht kennt!“, habe ich als Kind immer gesagt, aus voller Überzeugung geglaubt und genau so gemeint. Wie soll man auch? Vermisst man nicht eher, was man sich darunter vorstellt und nicht die Sache selbst?

    „Ich vermisse nichts“, hieß bereits ein Blogeintrag von mir. Und so wie man sich selbst weiterentwickelt, so entwickeln sich auch die Gedanken, Meinungen und Gefühle. Und genau so, wie ich heute eine andere Meinung zu meinem kindlichen Satz habe, so anders denke ich heute über meinen damaligen Eintrag.

    Denn so glücklich ich auch bin, so viel ich auch kann, so gut ich alles auch meistere – ich sehe die Menschen. Ich habe Vorstellungen, ich kann manchmal klar denken und manchmal verliere ich mich in meinen Gedanken. Und wenn ich träume, wenn ich mich nachts in meinem Traum sehe, dann bin ich ganz häufig ich, wirklich. Dann bin ich ganz häufig so, wie ich wirklich bin. Aber manchmal sehe ich mich auch anders. Manchmal, wenn ich mich nachts in meinem Traum sehe, dann bin ich anders. Immer noch ich, aber anders. Da laufe ich, ganz viel. Manchmal renne ich. Und manchmal tanze ich auch. Und dann lache ich und irgendwann wache ich auf und all das ist nicht mehr. Und diese Träume sind schön und ich genieße sie. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass mir der Traum nicht genügt. Dass mir etwas fehlt und dass mein Schicksal aber ein anderes ist.

    Und dann denke ich, dass es nicht richtig ist. Dass es falsch ist, was ich denke. Dann empfinde ich mich als undankbar und erinnere mich daran, dass ich mich doch glücklich schätzen kann. Dass es mir gut geht und dass ich so Vieles kann.

    Aber ebenso bemerke ich, wie ich die Dinge, die ich vermisse, selbst schlecht rede. Wie ich versuche, ihnen keine Bedeutung zuzusprechen und mir einzureden, dass diese Dinge bestimmt gar nicht so gut und wichtig sind im Leben. Und dann denke ich, dass es ebenso falsch ist. Dass es nicht richtig ist, was ich denke. Und eigentlich weiß man, dass es Sachen gibt, die man noch so schlecht reden kann – eigentlich sind sie wundervoll und genau das, was man möchte.

    Und wenn ich dann wieder in mein Gedankenkarussell verfalle, denke ich daran, wie es wäre, wieder Klavier zu spielen, den ganzen Tag, meine Leidenschaft wieder ausleben zu dürfen. Wie es wäre, sich Spitzenschuhe zu schnüren und zu guter Musik Ballett zu tanzen. Wie es wäre zu laufen, in einer Hand einen Kaffeebecher, in der anderen Hand den Schlüssel. Wie es wäre, sich die Haare zu flechten. Sich keine Gedanken machen zu müssen, ob man an einem wichtigen Tag gut essen kann oder zu viele Schmerzen hat. Auto zu fahren. Sich einfach ins Auto zu setzen und loszufahren. Sich nicht überlegen zu müssen, wie man es vermeidet, bei einem Date eine Jacke zu tragen, damit man nicht in Verlegenheit gerät, wenn man sie nicht selbst ausziehen kann. Sich gar nicht erst erklären zu müssen, egal, wem gegenüber. Alleine zu sein, egal wo. Jemandem ein High-Five zu geben, ohne eine Faust zurückzubekommen, weil die Person eben dachte, man würde einem die Faust geben. Barfuß zu laufen. Nagellack zu kaufen. Eine Zahnspange zu tragen. Durchzuschlafen, ohne beim Umdrehen aufpassen zu müssen. Jemanden ganz fest zu umarmen, ohne die Gefahr, neue Blasen zu bekommen. Kleinigkeiten.

    Aber vielleicht vermisse ich ja auch nur Erinnerungen und Vorstellungen und nicht die Sache selbst. Vielleicht kann man doch wirklich gar nichts vermissen, was man nicht kennt.

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