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    Ihr wisst nicht, wie stark ihr wärt

    „Wie schaffst du das nur?“, „Ich könnte das nicht!“, „Ich hätte aufgegeben!“, „Wie hältst du das aus?“ Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich Sätze dieser Art gehört habe. Und jedes Mal lächle ich mild, innerlich koche ich aber und ich könnte gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte – auch, wenn es (vielleicht) gut gemeint ist.

    Mir sind im Leben oft Menschen begegnet, die fast nichts von mir wussten. Die kannte ich 10 Minuten und die einzig geführte Konversation bestand darin, dass gefragt wurde, was ich eigentlich habe und ich es erklärt habe. Das an sich stellt für mich gar kein Problem dar – das wisst ihr mittlerweile und die, die mich privat kennen, wissen, dass ich das auch so meine. Die Reaktion auf die Erklärung zu EB macht mich manchmal aber sprachlos. „Ich könnte das nicht!“ – Was könntest du nicht? Mit der Krankheit umgehen? Mit der Krankheit leben? Was soll so eine Aussage?

    Oft ist das Einzige, das die Menschen damit ausdrücken wollen Respekt und Bewunderung. Was sie nicht wissen: Sie werten das Leben mit (dieser) Krankheit ab, ohne es genug zu kennen. Sie versuchen verzweifelt, sich in die Situation und das Leben mit der Krankheit einzufühlen und können nicht anders als zu scheitern – denn eins ist Fakt: Sie sind noch keinen Tag lang in unseren Schuhen gelaufen und wissen nicht, wie es ist, mit dieser Krankheit zu leben. Sie können nicht beurteilen, sie wissen nicht, was das Gute oder Schlechte daran ist, was für Probleme es gibt und wie die Lösungen dafür aussehen. Aber was ebenfalls Fakt ist: Es ist nicht schlimm, dass sie es nicht wissen. Es ist vollkommen natürlich. Sie können nicht sagen, ob sie es schaffen würden, ob sie es könnten, ob sie es aushalten oder aufgeben würden.

    Denn sie wissen nicht, wie es ist, in dieser Lage zu sein, krank zu sein von Geburt an. Sie wissen nicht, was für Kräfte man entwickeln kann, wenn man es nicht anders kennt, wenn man Menschen um sich hat, die einen bedingungslos unterstützen und was für Kräfte man entwickeln kann, wenn man die positiven Sachen im Leben findet, die einen vergessen lassen, wie schwierig es ist. Sie wissen nicht, was für einen Ansporn man entwickeln kann, was für Möglichkeiten es zur Problemlösung gibt und dass ich von Anfang an lernen musste, Alternativen zu finden. Ich bin es gewohnt. Ich bin die Schmerzen gewohnt, die Blicke Anderer, die Abhängigkeit von anderen Menschen, die Anstrengung, den Zeitverlust, das Umdenken und Umstrukturieren. Ich kenne es nicht anders. Ich habe keine andere Wahl - akzeptieren oder daran zugrunde gehen. Ich habe mich für die erste Variante entschieden. Bewusst entschieden.

    Für mich ist es so, wie ihr euer Leben kennt. Ich stelle mich auch nicht zu euch und sage: „Den ganzen Tag zu Fuß laufen und nie die Strecken mit dem Rollstuhl zurücklegen können – das könnte ich nicht. Wie schaffst du das nur?“ Das ist absurd. Ihr kennt es nicht anders. Ihr seid froh, dass ihr laufen könnt. Ich kenne es nicht anders. Ich bin froh, dass ich dank meines Rollstuhls die Welt erkunden kann.

    Woher nehmt ihr euch das Recht, ein Leben, das ihr nicht gelebt habt, zu bewerten, abzuwerten, zu sagen, ihr könntet es nicht. Ihr kennt eure eigene Stärke nicht. Und ihr wärt überrascht, was ihr alles könntet.

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