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    Nicht nur Kinder können grausam sein!

    Wenn man mit einer Behinderung lebt, die man so offensichtlich erkennen kann, muss man wirklich lernen damit umzugehen, wie es ist, angestarrt zu werden oder blöde Sprüche gedrückt zu bekommen. Das ist mir auch schon oft passiert - von klein auf. Aber das Sprichwort ,,Kinder können grausam sein" stimmt meiner Meinung nach nicht so ganz, beziehungsweise finde ich, dass es unvollständig ist.

    Ich bin in einen integrativen Kindergarten gegangen. Dort waren sowohl Kinder mit Behinderung als auch Kinder ohne Behinderung. Ich habe mich von den Kindern akzeptiert gefühlt, meine Krankheit hat nie eine große Rolle gespielt. Natürlich wussten die anderen Kinder Bescheid, dass man bei mir aufpassen muss, dass ich nicht so schnell mitrennen kann und dass ich manchmal nicht schlucken kann. Für die Kinder überhaupt kein Problem. Anders sah es bei einer Erzieherin aus. Diese eine Erzieherin hatte wirklich kein Verständnis für mich und konnte oder wollte meine Situation nicht begreifen. Als ich einmal wieder nicht schlucken konnte, weil durch die Krankheit eben auch meine Speiseröhre zusammen wächst und ich dann wirklich noch nicht einmal meine eigene Spucke oder Wasser trinken kann, sagte sie etwas derart Unverschämtes, dass es bis heute in meinem Kopf ist. ,,Wenn du das Essen nicht magst, dann sag es gefälligst und tu' nicht so, als könntest du nicht schlucken!". Mit meinen fünf Jahren war ich vollkommen überfordert mit dieser Aussage und fing an zu weinen. So tun? Versteht die Frau denn nicht, wie gerne ich am liebsten zwei Teller davon essen würde? Wie sollte ich ihr das nur begreiflich machen? Ich war so eingeschüchtert und hatte Angst vor einer erneuten Aussage dieser Art, dass ich ab diesem Tag nie wieder im Kindergarten Mittag gegessen habe. Ich habe sofort gesagt ,,Ich möchte heute nicht essen, ich mag das nicht.", aus Angst, dass ich wieder nicht schlucken kann und nichts herunter bekomme. Heute hätte ich natürlich vollkommen anders gehandelt, aber heute ist es zu spät.

    Ein weiteres unfassbares Erlebnis ist mit passiert, als ich (auch mit etwa 5/6 Jahren) mit meiner Familie in einem Kindertheater war. Schneewittchen wurde aufgeführt und ich fand es einfach nur toll. In der Spielpause haben wir uns ein Stück Kuchen gekauft, als mir eine Frau begegnete, die mich angewidert anstarrte. Nicht anschaute. Wirklich starrte und den Kopf schüttelte. Ich lächelte die Frau nur an und aß fröhlich meinen Kuchen, denn an dem Tag konnte mir nichts und niemand die Laune verderben. Am Ende des Stückes durften die Kinder zu den Schauspielern zu gehen, ihnen die Hände schütteln und sich einen Schokoladentaler abholen. Ich freute mich auf Schneewittchen, streckte gerade meine Hand aus, als plötzlich die Frau vom Kuchenstand neben mir auftauchte. Entsetzt schaute sie Schneewittchen an und schrie beinahe: ,,DIESEM Mädchen wollen Sie die Hand geben?! Das ist doch ekelhaft, wirklich EKELHAFT!" Ich war schockiert. Meine Mutter mischte sich ein, was ihr denn einfiele so etwas zu sagen und ob sie sich nicht schämen würde. ,,Schämen Sie sich nicht, so eine Tochter zu haben?!" Nach diesem Satz schaltete ich ab. Ich wollte mir nicht länger antun, was diese Frau von sich gab und erinnere mich an kein einziges Wort der weiteren Diskussion. Ich wollte nur noch weg. Schneewittchen tröstete mich, reichte mir die Hand und meinte nur: ,,Ich hab auch Neurodermitis, ist doch nicht schlimm!" Der Tag war für mich trotzdem gelaufen.

    Die Grundschulzeit verlief relativ problemlos, die Mitschüler waren offen, hatten keine Angst und wir hatten immer Spaß. Anders war es auf dem Gymnasium. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten (,,Was hast du?", ,,Warum darf sie mit dem Laptop schreiben?", Es ist unfair, dass sie später kommen darf, wenn wir den Unterrichtsraum wechseln!" und so weiter) habe ich mich in die neue Klasse eingefunden, auch wenn es die ein oder andere Mitschülerin gab, die mich spüren ließ, was sie von mir hielt. Als ich in der achten Klasse war, war es wieder eine erwachsene Pädagogin (!), meine Lehrerin, die mir plötzlich sagte, dass ich doch bitte keine Tops und T-Shirts tragen sollte, weil man sonst meine rote Haut sehen würde. Ich fing an zu lachen, sagte ihr, dass sie sich darauf verlassen könnte, dass ich an meinem Kleidungsstil definitiv nichts ändern würde und ging. Es ist Haut in rot, nicht mehr, nicht weniger was man sieht. Die Wunden sind verbunden. Ich bitte euch, was will die Frau? Ist mir bis heute nicht klar.

    Als es wenige Monate später auf Klassenfahrt zum Skifahren gehen sollte und ich traurig war, dass ich nicht mit konnte, war es die gleiche Lehrerin, die mir sagte, ich müsse doch mal langsam lernen, dass ich auch auf Sachen verzichten muss. Ihre Tochter habe momentan auch ein gebrochenes Bein und könne nicht alles mitmachen. Wow. Was für ein Vergleich. Ich wusste sehr früh, was es hieß auf Sachen zu verzichten. Als mit zwei Jahren das erste Mal meine Finger zusammen wuchsen und ich beim Spielen die Puppe nicht mehr richtig halten konnte und sie wütend in die Ecke schmiss. Als ich beim Fangen-Spielen hinfiel, meine Haut komplett offen war und ich merkte, dass das Rennen keine gute Idee war. Und als ich im Sommer nicht mal was Trinken konnte, weil meine Speiseröhre zusammen gewachsen ist. Und diese Frau will mir erzählen, dass ich lernen müsste, zu verzichten? Alles klar.

    Wenn mich Leute in der Stadt sehen und mich nicht anschauen, sondern wirklich minutenlang starren, dann frage ich, ob sie etwas wissen möchten. Bitte, fragt einfach. Es ist für mich überhaupt kein Problem, zu erklären, was ich habe und warum ich so aussehe oder zeitweise im Rollstuhl sitze. Aber sich ein Urteil zu bilden, ohne Bescheid zu wissen, was los ist und vielleicht sogar noch komische Kommentare abzugeben (eine Frau fragte mich mal, ob ich mit der Nase gebremst hätte), nervt wirklich. Bei kleinen Kindern ist es etwas anderes. Sie sind neugierig, unvoreingenommen und fragen sich meist nur, was anders ist. Da ist gucken auch kein Problem. Aber bei Erwachsenen erhoffe ich mir etwas anderes.

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