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    Um zu verstehen

    Manchmal, nur manchmal, vielleicht an schlechten Tagen oder wenn ich genug habe oder wenn ich nicht aufhören kann, mit den Augen zu rollen oder wenn ich wieder zu viel von einer anderen Welt träume, dann wünsche ich mir, dass ihr fühlen könntet. Dass ihr fühlen könntet, was ich fühle. Die Schmerzen und die Müdigkeit. Dass euch die Worte so treffen, wie sie mich treffen. Dass ihr Angst bekommt. Angst vor dem, was bevorsteht. Dass ihr euch Sorgen macht, eine Last zu sein. Dass ihr nachvollziehen könnt. Ihr sollt das nicht erleben, weil ich Schlechtes wünsche, denn das tue ich nicht. Ihr sollt das erleben, um zu verstehen.

    Manchmal, nur manchmal, vielleicht an schlechten Tagen oder wenn ich genug habe oder wenn ich nicht aufhören kann, mit den Augen zu rollen oder wenn ich wieder zu viel von einer anderen Welt träume, dann glaube ich, dass das die Lösung ist. Wenn ihr doch nur für einen einzigen Tag, nur für einen, das spüren könntet, was ich spüre – ich bin mir sicher, dass ihr dann verstehen würdet.

    Ich bin mir sicher, dass ihr dann nicht mehr lacht, wenn ich sage, dass ich müde bin, ständig müde, immer. Dass ihr nicht mehr fragen würdet, wovon das denn käme, so anstrengend sei all das doch gar nicht. Dass ihr mich nicht komisch anschaut, wenn ich erzähle, dass ich 4 Stunden Mittagsschlaf gemacht habe. Auch wenn es nicht so aussieht – ich bin erschöpft. Mein Körper ist es. Er arbeitet und arbeitet. Viel mehr, als ihr euch vorstellen könnt. Ich stelle mich nicht an, ich muss mich nicht nur mal zusammenreißen. Ich bin einfach müde. Von den Schmerzen, von der Anstrengung, die es mich jeden Schritt kostet, von der ständigen Arbeit meines Körpers, der dauernd kämpft, um sich selbst wieder zu heilen. Aber das könnt ihr nicht verstehen, denn ihr habt es nicht erlebt. Ihr wisst nicht, wie es sich anfühlt.

    Ich bin mir sicher, dass ihr dann nicht mehr sagen würdet, dass ich mehr laufen muss, viel mehr. Es sei kein Wunder, dass ich solche Schmerzen empfinde, wenn ich es nicht gewohnt bin, zu laufen. Dass ihr mehr Verständnis hättet, wenn ich sage, dass ich nicht kann. Denn wenn ich laufe, dann ist es, als würde ich barfuß auf Scherben gehen. Als würde ich auf ihnen tanzen, obwohl ich mich so sehr bemühe, vorsichtig zu gehen. Aber das könnt ihr nicht verstehen, denn ihr habt es nicht erlebt. Ihr wisst nicht, wie es sich anfühlt.

    Ich bin mir sicher, dass ihr nicht mehr urteilen würdet, über Aussehen oder Verhaltensweisen, weil ihr verstehen würdet, dass all das einen Grund hat. Dass ihr euch schämen würdet, schlecht über Menschen zu reden, die nicht eurem Ideal entsprechen oder einfach nicht so sind, wie ihr. Dass ihr erkennen würdet, wie sehr Worte schmerzen können. Dass Worte treffen können. Dass sie so viel anrichten können. Ich bin mir sicher, dass ihr dann anders handeln würdet – nicht so oberflächlich. Denn dann wüsstet ihr, wie verletzend solch ein Verhalten ist. Aber das könnt ihr nicht verstehen, denn ihr habt es (vielleicht) nicht erlebt. Ihr wisst (vielleicht) nicht, wie es sich anfühlt.

    Ich bin mir sicher, dass ihr dann nicht mehr so oft sagen würdet, meine Sorgen seien unbegründet, denn das sind sie nicht. Ihr könnt meine Gedankengänge nicht nachvollziehen. Ihr habt keine Ahnung, was in mir vorgeht. Das ist oft gut, weil euch manches nichts angeht. Aber in einigen Punkten müsstet ihr es besser wissen, oder? Aber ihr begreift diese Sorgen nicht, könnt sie nicht nachvollziehen, lebt nicht dieses Leben und habt keine Ahnung, wie oft Sorgen auftreten können. Vielleicht – wenn ihr eine nahestehende Person seid und auch damit konfrontiert seid – habt ihr auch Sorgen. Macht euch Gedanken. Aber es sind andere Sorgen und andere Gedanken. Ernstzunehmende Sorgen, wirklich. Meine Sorgen allerdings umfassen so vieles und sind so oft da, Sorgen um euch, um mich, um das, was wird. Aber das könnt ihr nicht verstehen, denn ihr habt es nicht erlebt. Ihr wisst nicht, wie es sich anfühlt.

    Ich wünsche mir, dass jene, die kein Verständnis zeigen für die Situation eines anderen, nur einmal fühlen könnten, was der andere fühlt. Und dass diese Person danach wieder sie selbst ist und wertschätzt, dass es so ist, wie es ist und dass sie lernt, weniger schnell zu urteilen.

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